29.01
2021
BVerfG 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18 – Zugang zu außerhalb der Bußgeldakte befindlichen Informationen (Rohmessdaten u.a.)

Das Bundesverfassungsgericht hat einer Verfassungsbeschwerde stattgegeben, die im Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitung den Zugang des Betroffenen zu Informationen betrifft, die nicht Teil der Bußgeldakte waren. Der Beschwerdeführer beantragte zuvor in dem behördlichen Bußgeldverfahrens erfolglos Einsicht in die Lebensakte des verwendeten Messgeräts und in die sogenannten Rohmessdaten, die sich regelmäßig nicht in der Bußgeldakte befinden. Der gegen den anschließend erlassenen Bußgeldbescheid eingelegte Einspruch blieb in den Instanzen der Fachgerichte erfolglos. Das Bundesverfassungsgericht hat nun entschieden, dass die Entscheidungen der Fachgerichte den Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzen.

Zwar sei es nicht zu beanstanden, dass die Fachgerichte von einer reduzierten Sachverhaltsaufklärungs- und Darlegungspflicht im Fall eines standardisierten Messverfahrens ausgegangen sind. Bei diesen Messverfahren sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geringere Anforderungen an die Beweisführung und die Urteilsfeststellungen der Fachgerichte zu stellen. Mit der Rechtsprechungspraxis zum standardisierten Messverfahren bei Geschwindigkeitsverstößen wird gewährleistet, dass bei massenhaft vorkommenden Verkehrsordnungswidrigkeiten nicht jedes Amtsgericht bei jedem einzelnen Bußgeldverfahren anlasslos die technische Richtigkeit einer Messung jeweils neu überprüfen muss.

In dem Verfahren des Beschwerdeführers hätten die Fachgerichte aber bereits verkannt, dass aus dem Recht auf ein faires Verfahren für den Beschwerdeführer grundsätzlich ein Anspruch auf Zugang zu den nicht bei der Bußgeldakte befindlichen, aber bei der Bußgeldbehörde vorhandenen Informationen folgt. Es ging dem Beschwerdeführer um die Möglichkeit einer eigenständigen Überprüfung des Messvorgangs, um – gegebenenfalls – bei Anhaltspunkten für die Fehlerhaftigkeit des Messergebnisses die Annahme des standardisierten Messverfahrens konkret erschüttern zu können. Es ist insoweit zu differenzieren zwischen einem Beweis(ermittlungs)antrag und dem Begehren auf Informationszugang. Die Verteidigungsinteressen des Betroffenen sind nicht identisch mit der Aufklärungspflicht des Gerichtes in der Hauptverhandlung, sondern können deutlich weitergehen.

Gesetzestext

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 2 

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

Art 20 

(…)

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

 
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